Kritik oder Verschwörungsideologie?

Ein paar Worte zum Abschluss. Warum haben wir dieses Buch überhaupt gemacht? 
In dieser Veröffentlichung haben wir verschiedene Perspektiven zum „Ist-Zustand“ gesammelt. Aufbauend auf der Auseinandersetzung mit verschiedenen Erfahrungsberichten rund um die Thematik hat sich dann der Graphic Novel entwickelt, um einen erzählerischen und emotionaleren Zugang zu schaffen. 
Wir wollen den Unterschied zwischen legitimer Kritik und Verschwörungsideologie herausarbeiten und zeigen wo es in diesem Spannungsfeld gerade zu Konflikt kommt.
Weder behandeln wir alle Perspektiven, noch sind wir bisher groß darauf eingegangen welche Ansätze es geben könnte, um die dargestellten problematischen Zustände zu verändern. 
Der folgende Text soll daher nun erste Anhaltspunkte dafür geben.

Kritik oder Verschwörungsideologie?

Corona ist wie jede andere Krise eine Extremsituation, in der es verschiedene Lösungsstrategien und Möglichkeiten des Handelns gibt und die auf Gesellschaftlichen Strukturen aufbaut. Doch was ist zu tun? Und welche Fehler werden gemacht?
Das wichtigste für eine Weiterentwicklung jeder Art ist aus Fehlern zu lernen. Doch dafür müssen wir Fehler überhaupt erst mal erkennen. Dazu brauchen wir zum einen die Fähigkeit Kritik zu verarbeiten, aber viel wichtiger: Als Teil der Gesellschaft müssen wir Kritik formulieren.
Ein erster, scheinbar offensichtlicher aber nicht zu vernachlässigender, Punkt ist dabei zu überprüfen ob hinter „(pseudo-)kritischen Aussagen“ (Welt-)Verschwörungsnarrative stecken. Auf Anmerkungen mit verschwörungstheoretischen Gehalt ist keine sachliche Auseinandersetzung möglich. Die Verhältnisse scheinen klar zu sein. Eine Personengruppe kontrolliert alle wichtigen Vorgänge, wie „die Eliten“ alle Wirtschaft oder „die Medien“ alle Nachrichten. 
Wenn Bill Gates nicht die Welt regiert (wovon wir ausgehen), gibt es falsche Schuldige die darunter leiden müssen. Historisch gibt es hier Beispiele: Die Benennung von schuldigen hat im Nationalsozialismus zur Ermordung von 6 Millionen Juden geführt, die fälschlich als Ursache des Leids gesehen wurden. Aber auch das narrativ der korrupten geldgierigen Pharmaindustrie, hat zu Opfern geführt. So hat ein südafrikanischer Präsident aus Skepsis gegen das „Aids-Establishment die Versorgung mit Medikamenten eingestellt. An den Folgen dieser Entscheidung sind schätzungsweise 330000 Menschen gestorben. Der Glaube an Verschwörungsideologie ist sehr gefährlich.
Vielleicht ist das was der Auslöser für diese Aussagen ist auch richtig und wichtig. Bill Gates hat viel Macht da er viel Geld besitzt, Die Pharmaindustrie übt  Einfluss auf  Politik und Wissenschaft aus um Profit zu maximieren. In unserer Gesellschaft ist der Profit eins der Ausschlaggebenden Argumente für Handeln. Dies schafft ein System in dem wirtschaftliche Verhältnisse wichtiger als soziale Verhältnisse sind. Es geht darum dieses System und die Ungleichheit dahinter zu verändern. Aber wenn einer meist pauschal verallgemeinerten Personengruppe (wie z.B. „Eliten“) die Schuld für diese Auslöser geben wird, liegt eine verkürzte Darstellung vor. Oft dient der Bezug auf „die Anderen“ oder „die da Oben“ dazu, sich selbst nicht in die Verantwortung zu nehmen und etwas grundlegend verändern zu wollen.
Klar ist, dass es absolut notwendig ist auch schlechte Verhältnisse, wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder Menschenunwürdige-Verhältnisse an den europäischen Außengrenzen, zu benennen  ohne immer auch gleich schon eine umfassende Lösungsstrategie parat zu haben. Wenn allerdings regelmäßig nur Aufgezeigt wird und kein Prozess der Lösungsfindung gestartet wird, wirkt das schnell bequem und wenig konstruktiv. Sich über die Einschränkung der Meinungsfreiheit zu beschweren, aber gleichzeitig keine Forderungen nach Vielfalt und Mitbestimmung zu stellen, wäre ein Beispiel dafür. 
Eine Voraussetzung um von konstruktiver Kritik zu einer Veränderung in der Gesellschaft zu kommen scheint die Betroffenheit zu sein. Verhältnisse können kritisiert werden, jedoch ohne die Beteiligung von den Menschen die, bspw. von dem kaputt gesparten Gesundheitswesen betroffen sind, also Kranke und die Beschäftigten, kann keine demokratische Zukunft entstehen.
Und schlussendlich ist es wohl entscheidend wie mit Kritik umgegangen wird. Wird Kritik an den eigenen Analysen über die kritisierten Verhältnisse angenommen? Und wie wird damit umgangen? Das bedeutet auf jeden Fall ein erhöhtes Maß an Selbstkritik als Einzelperson, aber auch als Gruppe, die bspw. durch eine Demo ihre Kritik aber auch Forderungen äußert. Nur durch den ständigen Prozess von Analyse, Kritik, Forderung und Selbstreflexion kann Verantwortung gegenüber der zu verändernden Thematik aufgebaut werden. Das gilt gerade auch für Themen in denen wir nicht, oder nur indirekt betroffen sind. Dabei geht es immer darum den „Ist-Zustand“ von sich, von Menschen in meiner Umgebung, schlussendlich von der Gesellschaft zu erkennen und dort Kritik zu üben wo Menschen leiden.

Wie lässt sich der „Ist-Zustand“ beschreiben?

Verschwörungsideologien, Antisemtismus, Rassismus, Sexismus und Rechte Ideologien gab es schon vor Covid-19 auf allen Ebenen. Durch unsere aktuelle Situation werden manche dieser Themen in den Vordergrund gerückt, andere aber auch verdrängt. Alle aber werden auf die ein oder andere Weise verstärkt. Zum Beispiel wurden Geflüchtete, welche teilweise für 2 Wochen auf engsten Raum in Quarantäne gesperrt wenn es in der Unterkunft Coronafälle gab. Auch die emotionale Belastung nimmt zu. Denn auch wer volles Verständnis für Lockdown, Abstand und andere Regeln aufbringt, kann immer wieder auch Wut und Trauer verspüren, da trotz aller vernünftigen Lösungen die Einschränkung von Freiheit und Kontakten ein massiver Eingriff in das Leben ist.
Trauer beispielsweise, weil man seine Liebsten nicht zu sehen oder Verwandte nicht beim sterben begleiten kann. Bei allem beharren auf vernünftigen Maßnahmen, sollten auch emotionale Reaktionen der Freund:innen, Familienangehörigen und Mitmenschen Raum gegeben und diese aufgefangen werden. 
Viele der Maßnahmen scheinen im Anblick der Pandemie gerechtfertigt zu sein, einige aber dürfen nicht Kritiklos bleiben. So wird die Freizeitgestaltung massiv eingeschränkt, während die Wirtschaft, die in Deutschland, frei von jeder humanistischen Logik, kaum reglementiert wird. Dies führt dazu, dass wir uns in einem schleichenden Dauerlockdown befinden, da durch die zahlreichen Kontakte in der Wirtschaft (wie z.B. in den Fabriken) die Neuinfektionen nie komplett reduziert werden. Diese Missstände tragen zusammen mit anderen gesellschaftlichen Problemen zu einer Steigerung der Wut bei.

Aber wo soll es überhaupt hingehen?

Doch wer die Welt wütend in schwarz und weiß unterteilt und unreflektiert Schuldige sucht trägt nicht zu einer konstruktiven Veränderung bei. Um sich selbst abzuregen, kann das dem ersten Gefühl nach helfen. 
Aber um den Problemzusammenhängen, die uns eigentlich wütend machen, wirklich beizukommen, müssen wir Verantwortung übernehmen. Verantwortung gegenüber den Menschen in unserer unmittelbaren Nähe, in unserer Gesellschaft und natürlich gegenüber der Demokratie. Diese Verantwortung zu übernehmen gelingt uns vor allem dann, wenn wir uns selbstermächtigen und nicht in einer Opferrolle verweilen und Andere auf diesen Weg unterstützen. 
Ein „Wir“ Verständnis mit so wenig „Ihr“ wir möglich und so viel wie nötig zu erzeugen. 
Es ist wichtig mit den Emotionen wie Trauer und Wut um zu gehen. 
Gleichzeitig soll aus dieser Emotion heraus kein Sündenbock gesucht werden. 
Gesellschaftliche Trennlinien sind ein strukturelles Problem (wie verschiedene Diskriminierungsarten) daher gilt es diese auch strukturell zu verändern. Dafür brauchen wir ein solidarisches Verständnis für einander und schlussendlich auch Menschen, die aktiv darauf aufmerksam machen. 
Gerade in Bezug auf die Wirtschaft brauchen wir eine akute Krisenbekämpfung mit antikapitalistischen Lösungsansätzen.
Zwar ist der Kapitalismus und Diskriminierung nicht die Ursache für die Pandemie, aber er verstärkt ihre Auswirkungen enorm.
Eine Gesellschaft in der alle gut und gern Leben können, also das Soziale über der Wirtschaft steht,  ist unser Ziel.

Aber wie kommen wir da hin?

Unsere Gesellschaft, Demokratie oder auch die Pandemie selbst, ist nichts was leicht zu verstehen ist. Denn es sind komplexe Vorgänge mit denen wir uns ständig auseinandersetzen müssen. 
Das bedeutet unter anderem Kritik äußern, Protestieren aber solidarisch.
Also ohne Menschenfeindlichen, Verschwörungsideologischen Ansichten und mit passenden Hygienekonzepten.
Solidarische Nachbarschaften, organisierte Kolleg:innen, Petitionen, kreative Aktionen, Kundegebungen und vieles mehr. All das sind Möglichkeiten um uns gegen Verschwörungsideologie und Antisemitismus zu stellen. Gleichzeitig aber auch fahrlässiges staatliches Handeln zu kritisieren und eigene Lösungswege vor zu schlagen. 
Eine starke kritische Zivilgesellschaft ist jetzt gefragt, sich in Diskussionen einzumischen und sie nicht Konservativen, Verschwörungsideolog*innen oder der (extremen) Rechten zu überlassen.
Es ist in unserer Hand gemeinsam Verantwortung zu zeigen, solidarisch zu Handeln und Kritik zu üben. Also zu sehen wo Menschen (durch Strukturen) leiden, den Grund analysieren, mit den Menschen zusammen Forderungen, Wünsche und Wege gestalten und sich dabei immer wieder Selbstzureflektieren. 
Erzählt eure Erfahrungen anderen, tauscht euch aus, organisiert euch in Initiativen, Gruppen, Kampagnen, Gewerkschaften. Bleibt kritisch und zeigt klare Kante gegen menschenverachtende Inhalte und Mechanismen gerade auch im eigenen Umfeld und bei einem selbst!

Es gibt auch schon viele solcher Initiativen die unterstützen, Hintergrundinformationen geben, aber auch Forderungen stellen. Ein wichtige Initiative ist hier „Zero Covid“, die einen europaweiten Lockdown  und gleichzeitig Soziale transformaionen fordern. Die Auflösung von Sammelunterkünften und bessere finanzielle Absicherung in der Krise, sind Beispiele hierfür. 
Darüber hinaus gibt es viele Netzwerke und Initiativen die sich gegen Antisemitismus, Verschwörungsideologie, oder rechtes Gedankengut richten. Sie stellen Informationen, sowie Argumentationsgrundlagen zur Verfügung . 
Auch Beratungsstellen und Recherchekollektive können helfen Betroffene zu Unterstützen und Falschmeldungen, sowie Hetze auf zu decken.

 

Wanja Musta
Wanja ist Filmschaffender und arbeitet seit 10 Jahren in der politischen Bildungsarbeit. Die Hauptthemen in der politische Arbeit sind für Wanja Antifaschismus, Gewerkschaft, Gedenken und Rassismuskritik. Die Mischung aus politischer Aktivität und der Bildungsarbeit ist für Wanja sehr wichtig und wird in diesem Buch auch dargestellt.

Moritz Tille
Moritz Tille Sozialarbeiter und Aktivist. Als Teil der Gruppe (in)visible borders oragnisiert er seit 7 Jahren Vorträge zu Diskriminierung, Verschwörungstheorie, Antisemitismus und anderen wichtigen gesellschaftlichen Themen an der Hochschule Landshut. 
Zudem ist er in zahlreichen politischen Initativen aktiv und setzt sich für mehr Bildungs- und Kulturangebot im ländlichen Raum Niederbayerns ein.

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