Medien für eine progressivere Gesellschaft
Von „Vorzeigeminderheit“ zu „China Virus“
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie kommt es weltweit vermehrt zu Anfeindungen, Ausgrenzung und zu körperlichen Gewalttaten gegenüber der ostasiatischen Community. Seither finden Ostasiat:innen immer mehr mediale Aufmerksamkeit, wenn sie über anti-asiatischen Rassismus sprechen. Warum finden sie aber erst jetzt Gehör? Gab es vorher keinen anti-asiatischen Rassismus? Und wie hängt das mit Covid-19 zusammen?
Anti-asiatischer Rassismus – Was ist das?
Anti-asiatischer Rassismus in Deutschland existiert nicht erst seit dem Corona ausgebrochen ist, sondern hat bereits eine lange Geschichte hinter sich. Anhand historischer Bespiele lässt sich eine Kontinuität von antiasiatischem Rassismus feststellen.
Deutschland hatte Teile von China in der Kolonialzeit besetzt. Als sich die Bürger:innnen 1899-1901 wehrten, sagte Kaiser Wilhelm II. in seiner „Hunnenrede“ , dass die Chines:innen mit ihrem Akt des Widerstands gegen die Kolonialmächte ihr Recht auf Leben verwirkt hätten. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialist:innen waren auch die damals in Deutschland lebenden Chines:innen unmittelbar von der NS-Rassenpolitik betroffen: Sie wurden ausgewiesen oder in Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager verschleppt und dort ermordet. 1980 in Hamburg, 1991 in Hoyerwerda und 1992 in Rostock-Lichtenhagen waren mit einer der schwerwiegendsten Fälle antiasiatischer Gewalt nach der NS-Zeit. In allen drei Fällen wurden Wohngebäude, in denen größtenteils Vietnames:innen lebten von Rechtsradikalen angegriffen oder in Brand gesetzt. Statt einzugreifen, schauten Menschen zu und applaudierten. Sowohl in Hoyerwerda als auch in Rostock-Lichtenhagen griff die Polizei tagelang nicht wirklich ein. Die verantwortlichen Politker:innen ließen zwar die Angegriffenen evakuieren, jedoch sorgten sie nicht für die Verhaftung der Angreifer:innen. Über 1980 in Hamburg fehlt jegliche Berichterstattung zu dieser Zeit, obwohl dieser rassistisch motivierter Mord zwei Menschenleben gekostet hat. Dabei kamen Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan ums Leben. Diese Ausschreitungen sind nicht nur als eine Folge der Vereinigungspolitik einzuordnen, sondern als Ausdruck einer kontinuierlichen Existenz von Rassismus seitens der deutschen Bevölkerung.
Wie ihr unschwer erkennen könnt, gab es einige Gewalttaten gegenüber Ostasiat:innen.
Manche von euch werden sagen, dass es sich hierbei nur um Einzelfälle handelt und das Ostasiat:innen doch in Deutschland willkommen sind, immerhin stellen sie doch die „Vorzeigeminderheit“ dar.
Lasst mich eins klarstellen: Sowas wie eine Vorzeigeminderheit gibt es nicht. Dieser Mythos wird genutzt, um Ostasiat:innen als Beispiel der vorbildhaften Integration darzustellen mit der Kehrseite und den Hinweis darauf, dass andere Migrant:innen sich nicht genug anstrengen, nicht gut genug sind und sich deshalb nicht „integrieren“ können, weil ihnen die Leistungsbereitschaft und der Ehrgeiz fehlt. Es scheint so als würde man mit diesem Mythos versuchen andere Migrant:innen herab zu werten, in dem sie die ostasiatische Community aufwertet. Die Darstellung als Vorzeigeminderheit treibt ein Keil zwischen den BiPoC Communities. Zudem vereinfacht und verzerrt diese vorbildliche Minderheitenmythologie die Lebensrealitäten vieler Ostasiat:innen in diesem Land. Ihre finanziellen Probleme, ihre Fluchtgeschichten und ihre Traumata werden vereinheitlicht, nicht thematisiert und wenn schon, dann positiv dargestellt.
Einige sind wahrscheinlich immer noch der Meinung, dass auch wenn dieser Mythos nicht existiert, Ostasiat:innen aber dennoch eher positive Attribute zu geschrieben werden und es deshalb ja nicht so schlimm sei, denn es würde sich ja um „positiven“ Rassismus handeln. Aber auch das ist nicht existent. Positiv und Rassismus in einem Satz zu verwenden ist schon anmaßend. Rassismus ist ein Zusammenspiel aus Vorurteilen/Stereotypen und Macht. Dabei ist Rassismus immer eine Form der Unterdrückung, die niemals positiv sein kann. Wenn man beispielsweise Asiat:innen als besonders ruhig, zurückhaltend und damit besonders höflich darstellt, geht damit einher, dass asiatische Männer als schwach und feminin gelesen werden, während asiatische Frauen als sehr devot und unterwürfig gesehen werden. Zum einen werden Asiat:innen durch solche Äußerungen homogenisiert und nicht mehr als Individuen gesehen, die verschiedene Charaktereigenschaften und Stärken haben. Zum anderen bedient man mit diesem Bild der ruhigen zurückhaltenden asiatischen Frau Stereotype, die dazu führen das diese fetischisiert, exotisiert, ausgebeutet und oft Opfer sexualisierter Gewalt werden, während asiatische Männer feminisiert und als machtlos stigmatisiert werden.
Die weiße Mehrheitsgesellschaft kann uns Privilegien geben, in dem sie ein Gerüst wie die Vorzeigeminderheit konstruiert. Gleichzeitig kann sie diese Privilegien aber auch wieder dekonstruieren. Sie können sagen, dass wir hartarbeitende und gute Menschen sind. Sie können uns Privilegien zuschreiben, aber in jedem Moment wieder nehmen. Sie können uns unsere Existenzen nehmen. Ein Beispiel ist Bubble Tea: In dem weiße Wissenschaftlicher der RWTH Aachen behaupteten, dass Bubble Tea krebserregend sei und dies medial Wellen schlug, gingen kurz darauf so gut wie alle Bubble Tea Läden pleite. Diese Studie wurde als solches nicht mal in Frage gestellt und wurde Jahre später erst als falsch widerlegt. Zu spät. Dieser Fehler in der Studie und die darauffolgende Berichterstattung bedrohte die finanzielle Grundlage einiger Menschen und damit ihre Existenzen.
Insgesamt umfasst antiasiatischer Rassismus unterschiedliche Formen von Gewalt. Diese reichen von Mikroaggressionen über strukturelle Diskriminierung bis hin zu körperlichen Angriffen und Morden.
Rassismus und Corona
Dieses Zu- und wieder Absprechen unserer gesellschaftlichen Stellung, lässt sich gerade zu Zeiten von Corona erkennen. Nun sind wir nichtmehr die stillen, netten und hartarbeitenden Nachbarn, die keiner Fliege was zu Leide tun könnten. Nein, wir sind jetzt ansteckend, unhygienisch und gefährlich. Wir sind das Corona-Virus. Wir sind schuld. Wir müssen dafür zahlen.
Die Verstärkung von antiasiatischem Rassismus im Kontext der Corona-Pandemie lässt sich vor dem Hintergrund (post)kolonialer Narrative zu "Asien" historisch einordnen. Seit dem 19. Jahrhundert wird die "Gelbe Gefahr" mit der Entstehung und Verbreitung von Epidemien wie der Pest, in der jüngeren Vergangenheit mit Infektionskrankheiten wie Sars (severe acute respiratory syndrome) verknüpft.Das biologisch-medizinische Phänomen einer Pandemie wird rassifiziert und kulturalisiert; Ess-, Wohn- und Hygienegewohnheiten werden als Teil einer imaginierten "asiatischen Kultur" für die Entstehung und Verbreitung von Pandemien verantwortlich gemacht.
„Hast du schon mal Hund oder Katze gegessen?“ „Asiat:innen essen doch wirklich alles.“
Diese scheinbar harmlose Frage oder Aussage verstärken das Narrativ der ekelhaften und zurückgebliebenen Essgewohnheiten und enden zu Zeiten von Corona in Aussagen wie: „Selber schuld, wenn sie Fledermaussuppen essen, aber mussten sie wirklich die ganze Welt da rein ziehen? Sollen sie doch da bleiben, wo sie hingehören.“ Viele von euch werden das Gerücht schon mal gehört haben, dass der Ursprung des Corona Virus darin liegt, dass ein Mensch in Wuhan eine Fledermaussuppe gegessen haben soll. Diese Vermutung scheint für viele Menschen ganz nahe liegend, da das Stigma Chines:innen würden grundsätzlich nur komische Sachen essen, schon seit Ewigkeiten präsent ist. Als das Ebola Virus in Zentralafrika ausgebrochen ist, wurde sehr viel antischwarzer Rassismus reproduziert und schwarze Menschen wurden gemieden. Man warf ihnen vor, dass sie unhygienisch und rückschrittlich sind und dass das Virus nur deshalb von einem Tier auf einen Menschen übertragen werden konnte. Auch das Corona Virus wurde von einem Tier auf einen Menschen übertragen, jedoch ist hier nicht allein die mangelnde Hygiene schuld, sondern auch die scheinbare Esskultur. Angenommen der Virus wäre in Deutschland in einer Massentierhaltung von Hühnern entstanden. Stellt euch mal vor jemand würde behaupten, dass der Ursprung darin liegt, dass eine Person eine Hühnersuppe gegessen hat. Würdest du das ohne nachzudenken glauben? Und wenn ja, würdest du dann eher die Massentierhaltung oder die Essgewohnheit der Deutschen in Frage stellen? Ich würde jedenfalls den Ursprung nicht von der Nationalität und der Essgewohnheit der Deutschen abhängig machen. Durch diese bestehenden Stigmata verbindet man reelle Ereignisse mit unseren Schubladen, was für stigmatisierte Menschen sehr gefährlich werden kann.
Insbesondere Medienberichte zur Corona-Pandemie, schaffen durch diskriminierendes Framing und/oder mehrdeutige, stereotypisierende, klischeebeladene und unsachliche Text-Bild-Verknüpfungen eine Grundlage für rassistisches Gedankengut.
Beispiele:
30.01.2020: Bild „Vier bestätigte Fälle – So kam das Coronavirus zu uns“, Bild mit asiatischen Personen am Esstisch
06.04.2020: Bild „Gefährliche Wildtiermärkte – Futtert uns China in die Katastrophe?“, drastische Bebilderung mit Tierkadavern [wir verzichten an dieser Stelle auf eine Verlinkung und verweisen auf den Screenshot vom Titelbild #NoClicks4Bildzeitung]
15.04.2020: Podcast fest und flauschig (Olli Schulz, Jan Böhmermann), via Thea Suh aka @novemberbeetle
Zitat: „...durchgesuppt wie beim echten Chinesen, wo man nicht weiss, ist das jetzt ein gebratener Mensch, Hund, Katze, Fledermaus - es kann eigentlich alles sein.“
„Bilder wecken Assoziationen, Sprache schafft Wirklichkeit und Worte führen zu Taten.“ Welche Auswirkungen diese Stigmatisierung auf unsere Lebensrealität vor und nach Corona hat, seht ihr in den abgedruckten Erfahrungsberichten.
„Wir sind irgendwie nicht Teil dieser Gesellschaft, auch wenn wir das sein wollen. Wir machen Witze über uns selbst aus Selbstschutz. Das Witze darüber machen und das verharmlosen, gibt weißen Menschen das Gefühl, dass es okay ist Witze über uns zu machen und das ist so ein Teufelskreis.“ – Jenny N.
„Rassismus war früher subtiler – Heute ist er giftiger. Ich wurde gemieden in der U-Bahn. Die U-Bahn war voll und ich saß alleine in einem 4er Abteil. Keine wollte sich zu mir setzen. Meine Freundin wurde einfach mit Desinfektionsmittel in der U-Bahn eingesprüht. Durch Corona haben die Leute, die rassistisch sind jetzt einen Grund oder eine besondere Motivation asian people aktiv und aggressiv anzumachen.“ – Jenny N.
„Früher haben sich die Menschen über uns lustig gemacht. Damit konnte ich noch irgendwie umgehen. Seit der Pandemie werden wir aber mit Corona assoziiert. Dieser Hass, diese Abneigung und diese Schuldzuweisungen. Das belastet mich sehr und es fällt mir immer noch schwer damit umzugehen.“ – Lea
„Ich wurde von einem Mann angegriffen. Er sagte, dass ich nicht in dieses Land gehöre, obwohl ich sogar einen deutschen Elternteil habe. Er nannte mich „Ching Chong“ und „Corona Virus“. Er sagte sogar „Iss mein Hund nicht!“ und fing daraufhin an auf mich einzuschlagen. Ich habe angefangen zu bluten. Ich bin immer noch am Zittern und habe Angst. Es passierte nur einen Block von meinem Haus entfernt. Ich bin nicht mal da sicher. Es muss aufhören.“ -Hani
Das repräsentiert noch nicht einmal ansatzweise die Lebensrealität unserer Community. Es gibt noch so viel mehr Geschichten, die gehört und gesehen werden müssen. Ich könnte unendlich weiterschreiben, über meine Wut, Trauer und Angst, vor allem nachdem was in Amerika, in Atlanta passiert ist. Dafür reichen aber diese Seiten nicht. Bleibt wachsam und passt auf euch, eure Familie und eure Freund:innen auf!
Jennifer Fu ist 21 Jahre alt. Sie studiert Rechtswissenschaft an der Universität und ist dort in der studentischen Rechtsberatung für Aufenthalts- und Asylrecht als Rechtsberaterin tätig. Sie engagiert sich bereits seit einigen Jahren in der rassismuskritischen Bildungsarbeit. Aktuell ist sie Teil der Hochschulgruppe Minorities United, die sich mit rassismuskritischen Inhalten auseinandersetzt und einen Safer Space für BiPoCs darstellt.