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Verschwörungstheorien
Seit Monaten befinden wir uns mitten in einer Pandemie. Die Bedrohung durch ein unsichtbares Virus verunsichert verständlicherweise viele Menschen.
Demos, versuchter Sturm auf den Reichstag
Andere leugnen gar die Existenz oder Gefährlichkeit des Virus, übernimmt die scheinbar in sich geschlossenen Verschwörungserzählungen und lehnt dementsprechend alle staatlichen Schutzmaßnahmen ab.
Zu denen gehören neben der AfD, rechtsextremen Gruppen auch die sogenannten Querdenker – wie wir kürzlich auch wieder bei den Protesten rund um das Regierungsviertel gesehen haben.
Was ist eigentlich eine Verschwörungstheorie?
Ganz allgemein bezeichnet man als eine Verschwörungstheorien, die Annahme, dass eine kleine, mächtige und böse Gruppe das Geschehen oder sogar das Weltgeschehen zu ihren Gunsten steuert. Aus der Perspektive von Verschwörungstheoretiker*innen ist alles, was wir auf den ersten Blick erkennen können, nur Schein und Fassade. Alle offiziellen Akteur*innen, zum Beispiel Politiker*innen oder Demonstrant*innen, sind in dieser Weltsicht Marionetten der Verschwörer*innen.
Die Verschwörungsmythen zur Corona-Krise, so neu sie eigentlich sein mögen, fügen sich in eine uralte Tradition ein. Sie arbeiten mit Bedrohungsszenarien und antisemitisch gefärbten Feindbildern, die seit dem Mittelalter bekannt sind und spätestens seit der Französischen Revolution politischen genutzt werden. Dazu gehört etwa die Angst vor Jüdinnen und Juden, vor Geheimgesellschaften wie den Illuminaten, oder aber Angst vor dem Kommunismus oder dem Sozialismus. Und diese Angst ist immer verbunden mit Hass. Auch die Verschwörungstheorien zur Corona-Krise, so neu sie eigentlich sein mögen, fügen sich in diese Tradition ein.
Antisemitisch und brandgefährlich
Auch wenn Verschwörungstheorien häufig wie irrwitzige Gedankenkonstrukte erscheinen oder sogar zum Lachen zwingen, müssen wir Verschwörungstheorien ernst nehmen. Viel zu schnell werden aus Gedanken und Worten schreckliche Taten.
Der Blick in die Geschichte zeigt die Gefährlichkeit von Konspirationstheorien: In vielen totalitären Regimen wurden sie eingesetzt. Mit Verschwörungstheorien können Menschen geködert, mobilisiert und aufgehetzt werden. Da der Glaube an eine bedrohliche Verschwörung eine Verteidigungshaltung erzeugen kann, können Verschwörungstheorien dazu beitragen, ansonsten vielleicht umstrittene oder radikale bis menschenverachtende politische Maßnahmen, z.B. die Anwendung von Gewalt, legitimieren.
Ein besonders tragischstes Beispiel ist der Nationalsozialismus: Die antisemitische Theorie einer jüdischen Weltverschwörung wurde von den Nationalsozialist*innen massiv befeuert. Schon Kinder wuchsen mit der Idee auf, dass das ganze System von „ekelhaften“, „hinterhältigen“, „bösen Juden“ durchzogen sei. Aus dieser Logik heraus schien es unausweichlich, deren Vernichtung voranzutreiben. Millionen von Menschen wurden ermordet.
Aber man muss gar nicht so weit zurück gehen. Nahezu alle rechtsextremen Attentäter der letzten Jahre scheinen sich im Internet radikalisiert zu haben und waren glühende Anhänger eines verschwörungstheoretischen Weltbildes. Der norwegische Massenmörder Anders Breivik, der neuseeländische Täter von Christchurch, aber auch der Attentäter von Halle – sie alle waren motiviert durch die gleichen altbekannten Verschwörungstheorien.
Verschwörungstheorien als antidemokratische Strategie
Konspirationstheorien untergraben wichtige Grundvoraussetzungen für Demokratie. Die Annahme, dass es eine Verschwörung der politischen und meinungsbildenden Eliten gäbe schwächt das Vertrauen der Menschen in wichtige demokratische Institutionen, etwa in Parlamente, die Justiz oder die Medien.
Der U.S.-Präsident Donald Trump beispielsweise witterte stets eine Verschwörung der Medien oder einen „Deep state“, also verborgene Mächte innerhalb seines Staatsapparats, die gegen ihn arbeiten würden. Auch die AfD arbeitet mit verschwörungstheoretischen Erklärungen, beispielsweise in ihrem Grundsatzprogramm von 2016.
Wann nehmen Verschwörungstheorien zu?
Zeiten der Verunsicherung und Angst, in früheren Zeiten etwa Pestwellen oder Kriege, heute die Corona-Pandemie, erhöhen die Bereitschaft der Menschen an Verschwörungstheorien zu glauben, beträchtlich. Konspirationistische Erklärungen sind in Krisenzeiten besonders attraktiv, da sie der Komplexitätsreduktion dienen, einfache Antworten und neue Ordnungsmuster bieten und den Ereignissen Sinn verleihen. Durch den Glauben an Verschwörungstheorien wird absehbar „wohin das alles führen wird“ und vor allem werden die Schuldigen klar benannt. Die Schuldigen zu kennen hat Vorteile: Die eigene Mitverantwortlichkeit für bestimmte Entwicklungen wird ausgeschlossen und es besteht stets die Hoffnung, durch die Entlarvung und Beseitigung bis Vernichtung der Schuldigen, einem besseren Zustand zu erlangen.
Wer glaubt an Verschwörungstheorien?
Alle Menschen sind potentiell anfällig für Verschwörungstheorien. Zum einen üben verschwörungstheoretische Ideen auf viele Menschen eine gewissen Faszination aus. Sich damit zu beschäftigen kann oft schon ein erster kleiner Schritt in Richtung Glauben an diese Thesen sein.
Zum anderen lieben alle Menschen einfache und eindeutige Erklärungen, gerade wenn um uns herum alles schwierig und kompliziert erscheint. Menschen können Uneindeutigkeit und Ungewissheit unglaublich schwer ertragen, man spricht von einem Mangel an Ambiguitätstoleranz. Unterkomplexe, aber meist sehr eindeutige verschwörungstheoretische Erklärungen sind daher natürlich attraktiv.
Marlene Schönberger ist Politikwissenschaftlerin und forscht an der LMU München zur Zukunft der Demokratie. Ihre Schwerpunkte sind Verschwörungstheorien und Populismus.