Zwischen Ausbeutung und Corona

Notwendigkeit und Missstand des Gesundheitswesens
Ein gut funktionierendes und schützendes Gesundheitswesen ist elementar für eine funktionierende Gesellschaft. Das hat sich nicht erst durch Corona gezeigt. Auch dass das Gesundheitswesen in Deutschland, insbesondere im Bereich der Kranken- und Altenpflege, kränkelt ist nicht neu.
Um die Missstände in der Pflege und deren Entwicklung in Deutschland aufzuzeigen müsste man viele Facetten und Aspekte miteinbeziehen. Im Folgenden ist nur ein Bruchteil der Gesamtproblematik beschrieben.

Wie hat sich unser aktuelles Gesundheitssystem entwickelt
Durch die Verabschiedung des Gesundheitsstruktur – Gesetzes 1993 wurde das Kostendeckungsprinzip bei der Krankenhausfinanzierung durch die leistungsgerechte Vergütung abgelöst. Mit der Änderung der Bundespflegesatzverordnung wurde die Selbstkostendeckung dann teilweise abgeschafft. Beim Kostendeckungsprinzip werden die Kosten für die Pflege nach Behandlungstagen und tagesgleichen Pflegesätzen berechnet, während bei der „leistungsgerechten“ Vergütung die Berechnung nach technischem, finanziellem und personellem Aufwand für jeden einzelnen Fall (Fallpauschale/Diagnosis Related Group – DRG) vorgenommen wird.
Mit dem GKV Gesundheitsreformgesetz wurde 2000 dann der Beschluss eines flächendeckenden Fallpauschalensystems in Deutschland (G-DRG –German Diagnosis Related Groups) durchgesetzt. Das bedeutet, Patient:innen werden anhand von medizinischen Daten Fallgruppen zugeordnet. Diese Fallgruppen werden klassifiziert und so in ein pauschaliertes Abrechnungsverfahren eingepflegt.
Ab dem 1.1.2004 dann wurde die Einführung des DRG – Fallpauschalensystem flächendeckend verpflichtend. Dieses System, welches von Anfang an unter schwerer Kritik stand, steigerte die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Dadurch wurden immer mehr Anreize für wirtschaftliches Verhalten geschaffen. Vor allem der, nicht mit in die Beschlüsse von 2000 einkalkulierte, Ausbau des Fachpersonals die überhaupt mit dem immer komplizierter werdenden DRG-Systems umgehen konnten, brachte viele Krankenhäuser in eine schwierige wirtschaftliche Lage. 
Zusätzlich gibt es seit den 90er Jahren  drastischen Personalabbau beim Dienstleistungs- und Pflegepersonal. Verursacht durch die Budgetdeckelung von 1993 und verstärkt durch das Fallpauschalensystem.  Im Vergleich zu Arztstellen, die gegenüber der Abrechnung mit den Kassen den Krankenhäusern ein plus ergeben, wird die Pflege als Kostenfaktor wahrgenommen. Für die Abrechnung mit den Kassen ist es nicht besonders wichtig was nach einer Operation passiert.


Privatisierung von Kliniken und Krankenhäusern
Bereits in den 1990er Jahren wurden in der ehemaligen DDR öffentliche Infrastruktureinrichtungen und Krankenhäuser häufiger verkauft. Von 4 großen Krankenhauskonzernen sind drei in der ehemaligen DDR groß geworden (Asklepios, Rhön, Helios und Sana). Seit Anfang der 2000er Jahre wurden zunehmend auch im Westen Krankenhäuser privatisiert. Zwar wurden bereits in den 80er- und 90er Jahren kleinere Kliniken mit teilweise spezifischer Ausrichtung von privaten Konzernen und Klinikbetreibern übernommen, die Zunahme der Privatisierungen durch diese ist aber in Anbetracht der rückläufigen Investitionskostenfinanzierung der Bundesländer zu sehen, die in der stationären Versorgung je nach Berechnung zu einem geschätzten Investitionsstau von zu 50 Mrd. Euro geführt hat.
Spätestens 2006, mit dem mit Verkauf des Universitätsklinikums Gießen und Marburg an die Röhn – Klinikum AG sind auch Häuser der Maximalversorgung in den Fokus der großen Konzerne geraten. Dadurch übernehmen die Konzerne eine viel stärkere Verantwortung für die Aufgabenerfüllung dieser Häuser.
Zwischen 2006 und 2018 stieg die Anzahl der privaten Krankenhäuser von 446 auf 538. Somit gibt es mittlerweile mehr private Krankenhäuser als öffentliche. Dabei stellen sie aber nur ca. 18% der Betten in Deutschland 2018. Gerade jetzt in der Pandemie merken wir welche fatale Auswirkung dieser Kurs hat.

Blick hinter die Kulissen des Gesundheitswesens während der letzten Monaten der Pandemie
Im nachfolgenden Gespräch mit einer Mitarbeiterin einer Klinik in Kommunaler Trägerschaft können die konkreten Auswirkung der Entwicklung des Gesundheitswesens auf die aktuelle Situation benannt werden.
In dem Krankenhaus in dem die Mitarbeiterin arbeitet gibt es eine Coronastation mit 35 Betten, die die meiste Zeit voll ausgelastet sind. Dazu sei aber auch gesagt, dass eine Station, in der Covid-19 ausbricht, zwangsläufig zur Coronastation wird, auch wenn sie nicht als solche deklariert ist. Für die Arbeit in als solche deklarierten Coronastationen gibt es eine geringe Gefahrenzulage, jedoch nur wenn 20 Tage im Monat in einer solchen Station gearbeitet wird. 
Auch die Intensivstation ist voll ausgelastet und das hauptsächlich im Bezug auf eine Coronaerkrankung. Dies macht es schwieriger andere Fälle aufnehmen zu können und belastet das Personal zusätzlich.
Die Arbeitsbedingungen haben sich im Vergleich zu vor dem Ausbruch von Covid-19 stak verschlechtert. Es gibt eine hohe Kündigungsflut in den Krankenhäusern. Das macht es sehr schwierig in der Gestaltung der Dienstpläne. Viele Kolleg*innen müssen mehr und noch felxibler arbeiten.
Die Schichten sind unterbesetzt. Konkret bräuchte es 5 neue Kolleg*innen um den Plan richtig zu besetzen. Und weitere Kündigungen werden folgen.
Zusätzlich entsteht eine höhere Belastung, weil es mehr Patient*innen pro Beschäftigte gibt. Dazu kommen die Angehörigen die sich, noch mehr als sonst, über die Patient*innen und ihren Krankheitsverlauf erkundigen wollen. 
Das Ganze hat auch persönliche Auswirkungen, bspw. Auf das Privatleben aber auch auf den Körper. Die Mitarbeiterin erzählt davon, dass sie ständig  gereizt ist und starke Stimmungsschwankungen hat. Es gibt neben ihrer Arbeit generell keinen Ausgleich mehr.
Auch dauerhafte Kopf- und Rückenschmerzen plagen sie. Es ist unsicher, woher es genau kommt, aber dass der Stress damit zusammenhängt ist ihr klar.
Nachdem sich die Mitarbeiterin in der Arbeit mit Covid-19 infiziert hat, kam eine zusätzliche Belastung dazu. Neben der Erkrankung an sich, waren die Gedanken, die sie begleiteten, eines der schlimmsten Dinge.
Habe ich jemanden angesteckt? Wie lange war ich schon positiv? Die Patient*innen werden alle 2 Tage getestet, während die Beschäftigten nur alle 3 Tage getestet werden.
Bis Herbst 2020 durfte jede:r Beschäftigte nur eine FFP2 – Maske pro Tag verwenden. Aber nur für Personal mit Patientenkontakt, sonst hatte eine OP-Maske gereicht. Mittlerweile darf niemand mehr das Krankenhaus ohne FFP2-Maske betreten. Es gibt zwar für das Personal unbegrenzten Zugang zu FFP2-Masken, aber keine Möglichkeit sie nach 90 Minuten zu wechseln, wie es der Hersteller empfiehlt. So wird man richtig wirr im Kopf nach einer ganzen Schicht ununterbrochen Maske tragen, berichtet die Mitarbeiterin. Auch die Patient*innen müssen eigentlich FFP2-Masken tragen, können und tun das aber häufig nicht.
Wahre Wertschätzung wäre es für sie wenn sich die Gesellschaft an die Coronamaßnahmen halten würde. 
Insgesamt muss aber auch der Beruf der Pflege aufgewertet werden und schmackhafter gemacht werden. Vor allem müssen die Arbeitsbedingungen besser werden, denn die meisten hören während der Ausbildung aus oder machen danach nicht weiter, gerade wegen den herrschenden Bedingungen und dem geringen Ansehen für den Beruf.
Natürlich sollte auch das Gehalt erhöht werden, was gerade für Alleinerziehende einfach zu wenig ist, aber wenn die Arbeitsbedingungen verbessert werden, dann ist das ein guter Anfang.
Die Mitarbeiterin wünscht sich von der Politik Menschen im Gesundheitsministerium mit Bezug zur Pflege. Gerne kann da auch mal ein Gesundheitsminister mehrere Wochen in der Pflege Probearbeiten.
Dann wird wahrscheinlich auch klar, dass die Schlüssel von 10 Patient*innen auf eine Pflegekraft in bspw. Demenzstationen nicht einzuhalten ist.
Insgesamt braucht es mehr Möglichkeiten zu Fort- und Weiterbildung, erklärt sie.

Wie könnte man nachhaltig Veränderung erreichen?
Beim Blick auf die aktuelle Situation in den Krankenhäusern, scheint es einer der ersten notwendigen Schritte zu sein, die Fallpauschalen besonders während Corona auszusetzen, um bessere Bedingungen im Gesundheitswesen zu schaffen. Dauerhaft sollten die Fallpauschalen durch bedarfsorientierte Vergütungen ersetzt werden.
Wenn wir uns die aktuelle Situation in den Krankenhäusern anschauen scheint einer der ersten Schritte, um bessere Bedingungen im Gesundheitswesen zu schaffen die Aussetzung der Fallpauschalen, besonders während Corona, zu sein.6 Dauerhaft sollten diese durch bedarfsorientierte Vergütungen ersetzt werden.
Auch erscheint es sehr fahrlässig, dass nicht alle anfallenden Kosten in Krankenhäusern durch finanziert sind. Hier muss gerade in Bezug auf Pandemien Planungssicherheit geschaffen werden.
Um dabei nicht die Beschäftigten und ihren Lohn darunter leiden zu lassen braucht es allgemeingültige Tarifverträge und einen Pflegemindestlohn.
Außerdem müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden, zum Beispiel durch Entlastung durch zusätzliche freie Tage bei Schichtarbeit sowie zusätzlichen Urlaub.
Um die Gesundheitsversorgung in Deutschland aber wirklich nachhaltig zu gewährleisten, müssen bestehende gesetzliche Krankenhäuser unterstützt und private Krankenhäuser wieder zurück in öffentliche Hand geführt werden.7 Die Gesundheit der Menschen ist keine Ware und sollte auch nicht so gehandelt werden. 
 

Linda Dubiel ist ausgebildete Handelsfachwirtin und Gewerkschaftssekretärin mit dem Schwerpunkt Sozialversicherungen. Sie ist bereits seit vor ihrer Zeit als hauptamtliche Gewerkschaftssekretärin ehrenamtlich im politischen und gewerkschaftlichen Kontext unterwegs.

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